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Unternehmensergebnis   16.10.2025 14:51:51

Nach Wirecard-Insolvenz: Deutscher Bundesgerichtshof prüft Ansprüche

KARLSRUHE (awp international) - Nach der Pleite von Wirecard hoffen zehntausende Aktionäre, aus der Insolvenzmasse zumindest noch ein bisschen Geld zu bekommen. Aber haben ihre Ansprüche auf Schadenersatz denselben Rang wie die Ansprüche anderer Gläubiger, denen der insolvente Zahlungsdienstleister noch Geld schuldet? Um diese Frage ging es am Donnerstag am deutschen Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Eine Entscheidung will das Gericht am 13. November verkünden.

In dem konkreten Fall verlangt die Vermögensverwaltung Union Investment von Wirecard Schadenersatz. Sie wirft dem einstigen Dax-Konzern vor, über Jahre ein nicht existentes Geschäftsmodell vorgetäuscht und seine finanzielle Lage falsch dargestellt zu haben. Hätten Anleger die Wahrheit gewusst, hätten sie keine Aktien gekauft, argumentiert die Investmentfirma. Sie hätten deswegen Anspruch auf Ersatz des entstandenen Vermögensschadens.

Aktionäre als einfache Gläubiger?

Union Investment hat daher Ansprüche in Höhe von knapp 10 Millionen Euro zur Wirecard-Insolvenztabelle angemeldet. Doch Insolvenzverwalter Michael Jaffé bestreitet die Forderungen. Er hält die Forderungen von Gläubigern bei der Verteilung der Insolvenzmasse für vorrangig. Denn: Wirecard schuldet unter anderem kreditgebenden Banken und ehemaligen Angestellten viel Geld.

Aktionäre hingegen haben zwar Kursverluste erlitten, dem Konzern aber weder Geld geliehen noch sonstige Leistungen erbracht, für die Wirecard ihnen noch eine Zahlung schuldig wäre. Wären ihre Ansprüche gleichrangig, bekämen die übrigen Gläubiger sehr viel weniger Geld. Laut Insolvenzverwalter Jaffé sind die Aktionäre nur zu berücksichtigen, falls am Ende des Insolvenzverfahrens noch Geld übrig bliebe - wonach es aber nicht aussieht.

Milliarden-Forderungen im Insolvenzverfahren

Etwa 50.000 Wirecard-Aktionäre haben laut BGH Schadenersatz in Höhe von rund 8,5 Milliarden Euro zur Insolvenztabelle angemeldet. Insgesamt fordern die Wirecard-Gläubiger 15,4 Milliarden Euro. Die Insolvenzmasse beträgt aber nur rund 650 Millionen Euro. Voraussichtlich werden die Gläubiger also in jedem Fall nur einen sehr kleinen Teil ihrer Forderungen bekommen.

Nachdem sie am Landgericht München zunächst abgewiesen wurde, konnte die Klage von Union Investment auf Feststellung ihrer Forderungen zuletzt einen Erfolg verbuchen. Das Oberlandesgericht (OLG) München entschied im September 2024 in einem Zwischenurteil, dass Aktionäre ihre Ansprüche auf Schadenersatz als einfache Insolvenzforderungen geltend machen können.

Bewusstes Risiko oder verfälschter Wille?

Eine klare Tendenz, ob der BGH das ähnlich sieht, wurde in der Verhandlung nicht deutlich. Auf der Seite des Insolvenzverwalters betonten die Anwälte, den Anlegern sei beim Kauf der Aktien das damit verbundene unternehmerische Risiko bewusst gewesen. Der Anwalt der Gegenseite hielt dagegen, der freie Wille der Aktionäre beim Aktienkauf sei wegen der Täuschung durch Wirecard verfälscht worden und die Investitionsentscheidung daher nicht belastbar.

Das anstehende Urteil aus Karlsruhe könnte auch über den Fall Wirecard hinaus bedeutende Auswirkungen für Insolvenzverwalter, Aktionäre und andere Gläubigergruppen in Insolvenzverfahren haben, erklärt Elske Fehl-Weileder, Fachanwältin für Insolvenzrecht bei der Kanzlei Schultze & Braun.

Urteil könnte weitreichende Folgen haben

Sollte der BGH die Rechtsauffassung des OLG München bestätigen, würden Insolvenzverfahren in Zukunft womöglich komplizierter und aufwendiger, weil zusätzlich Forderungen von Aktionären geprüft werden müssten, sagt sie. Ausserdem könnten Banken und Investoren bei der Vergabe von Krediten zurückhaltender werden, wenn sie künftig im Insolvenzfall mit mehr konkurrierenden Forderungen rechnen müssten.

Sollte der BGH zugunsten der Aktionäre entscheiden, müsste das OLG in einer zweiten Runde klären, wie hoch diese Ansprüche sind, sagt Rechtsanwalt Michael Rozijn. Dann wird sich laut dem Experten für Gesellschaftsrecht auch die schwierige Frage stellen, wonach sich die Schadenshöhe bemisst - und wie sich überhaupt nachweisen lässt, dass die von Wirecard unterlassene Information tatsächlich den Kauf der Aktien und damit später den Verlust der Aktionäre verursacht hat.


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